Sorry, only in German:
Sie jagen Pottwale nur für den eigenen Lebensunterhalt – die Walfänger von Lamalera in Indonesien. Jährlich etwa acht der Tiere erlegen sie wie zu Zeiten von Melvilles Roman „Moby Dick“: von primitiven zwölf Meter langen Booten aus und mit Handharpunen. Ansonsten halten sie sich an Delfine, Haie und Manta-Rochen.
„Baleo, baleo!“ schreien die Fischer plötzlich. Aufregung bemächtigt sich der zwölf Männer im Boot, der „Praso Sapang“. Kommandos werden gerufen, die Männer reisen das Segel des Bootes – einer Prau – herum; wir nehmen Kurs in die Gegenrichtung. Der Bug der Prau pflügt durch das Wasser. Eine Art wild gewordene schwarze Decke taucht im Wasser steuerbords auf. Die Fischer haben die Decke längst als einen Riesenmanta erkannt, eine riesige Rochenart. Der Harpunier Markus steht auf der Plattform, die den Bug des Bootes überragt, zielt und wirft eine der vier Meter langen Harpunen in Richtung des Rochens. Hinter ihm steht sein Assistent und hält eine weitere Harpune in seinen Händen bereit. Als er die flatternde Decke wieder auftauchen sieht, springt er vom Boot ab und stürzt sich samt der Harpune auf die Decke zielend ins Wasser. Offensichtlich hat seine Harpune getroffen, denn das an der Harpunenspitze befestigte Seil läuft schnell vom Boot ab. Er schwimmt hastig zum Boot zurück und wird an Bord gezogen. Nachdem einiges an Seil mit der fliehenden Beute verschwunden ist, bemühen sich die Fischer das Seil vorsichtig wieder einzuholen.
Fünf Minuten später taucht der harpunierte Rochen auf, mit seinen Flügeln das Wasser aufwühlend. Die Fischer hantieren weiter aufgeregt mit dem Seil. Die Angst, den wertvollen Fang noch zu verlieren, lässt sie schreien. Als der Manta an das Boot heran gezogen ist, schlägt einer der Männer zur Sicherheit einen weiteren Haken in den sich windenden Körper. Nach zähem Ringen hat der Rochen seinen Todeskampf aufgegeben, aber ohne die Seilbefestigung würde er in den Tiefen des Meeres versinken. Mit seiner Breite von etwas über zwei Metern ist der Riesenmanta zu groß, um in einem Stück transportiert zu werden. Die Fischer hieven den Manta zur Bootswand hoch. Nur der seitlich am Boot befestigte Ausleger verhindert ein Kentern des Bootes wegen des vielleicht zweihundert Kilogramm schweren Tieres. Mit einem Fischermesser zerteilen die Männer es; Freude über die Beute macht sich dabei in ihren Gesichtern breit. Nach Tagen ohne Fangerfolg sichert der Manta den Lebensunterhalt ihrer Familien.
Wir segeln auf dem Meer vor dem Dorf Lamalera, das liegt auf dem Eiland Lembata 900 Kilometer östlich der indonesischen Insel Bali. Die fast senkrecht über uns stehende Sonne lässt keine Schatten auf unserer Prau entstehen. Zwölf Meter Länge hat sie und ihre hölzerne Beplankung ist, wie es die Tradition vorsieht, ohne Nägel, nur durch Nut-Feder-Verbindungen und Holzdübel zusammen gefügt. Nylon-Seile verspannen aber mittlerweile die Bretter. Auf der Steuerbordseite ist noch eine Ablage für die Harpunen befestigt, von denen etwa fünf mitgenommen werden. Sie sind aus Bambusrohr und mit abnehmbaren, 50 Zentimeter langen Harpunenspitzen aus geschmiedetem Stahl versehen. Der auch aus Bambus gefertigte Mast trägt ein rechteckiges Segel, das aus Palmblättern geflochten wird. Über dem Bug herausragend befindet sich eine Plattform für den Harpunier, die wegen ihrer Form auch Kanzel genannt wird. Im Heck, das mit einer Schmuckfigur versehen ist, sitzt der Steuermann und lenkt das Boot mit seinem einen Meter langen Stechpaddel.
Das Dorf hat 20 Boote dieser Größe, von denen aber nur etwa die Hälfte täglich herausfährt. Auf diesen Praue wird nur mit Harpunen gejagt. Zusätzlich werden oft Angelschnüre nachgezogen, vorzugsweise bestückt mit Ködern aus Fliegenden Fischen. Außerdem gibt es noch kleinere Boote, die mit Netzen fischen. Die meisten großen Boote nutzen statt eines Segels aber mittlerweile Außenbordmotoren, und werden nach einem der Motor-Hersteller „jonson“ genannt. Die „Praso Sapang“ segelt aber noch ganz traditionell ohne Motor.
Wir kreuzen noch bis zum frühen Nachmittag auf dem Meer, aber ohne einen weiteren Erfolg. Die Mannschaft nutzt den um diese Zeit noch auflandigen Wind, um nach Lamalera zurückzukommen. In Ufernähe holen die Männer das Segel und den Mast ein. Durch die Brandungszone paddeln wir. Bis auf den Harpunier Markus (der stärkste Mann an Bord) springen dann alle aus dem Boot. Kleine Jungen schwimmen jauchzend zum Boot und machen es sich in ihm und auf den Auslegern bequem. Markus stakt das Boot dann bis ans Ufer. Hier wartet die Mannschaft – und wer sonst noch am Strand ist, um die Prau mühsam über vor den Bug gelegte Rundhölzer den Strand hoch zu den Bootshäusern zu schieben.
Die Flotte des Dorfes hat heute zusammen sechs Mantas gefangen. Beim Zerlegen eines der Rochen holten die Fischer sogar ein Manta-Baby aus dessen Bauch. Riesenmantas sind lebendgebärend und bringen jeweils nur ein oder zwei Junge zur Welt. Ihre „Flügelspannweite“ kann bis zu sieben Metern betragen, aber solche großen Exemplare sind sehr selten geworden, vermutlich durch den übermäßigen Fang der industriellen Fischfangflotten. Wegen seiner am Kopf befindlichen hörnerartigen Flossen wird er auch Teufelsrochen genannt. Früher kursierten unter Seeleuten Gruselgeschichten über die Mantas: sie würden zuweilen Boote an der Ankerkette fassen, auf das Meer hinaus ziehen und dort mitsamt der Mannschaft versenken. Großen Tieren können sie aber nicht schaden, denn ihre siebartigen Kiemen lassen nur Kleintiere passieren – Krebstiere, Quallen und anderes Plankton. Sie verfügen auch über keinen Stachel am Schwanz, wie der unter Tauchern berüchtigte Stachelrochen.
Der heilige Petrus, im Zivilberuf Fischer am See Genezareth, steht in Gips in einer kleinen Kapelle am Strand von Lamalera. Sein Blick ist auf die blauen Wassermassen der Savu-See gerichtet. Mit Glück kann man von hier die hundert Kilometer entfernte Insel Timor zu sehen. Petrus hält eine Walfängerharpune fest in seiner rechten Hand.
Am Strand vor dieser Kapelle war Anfang Mai die diesjährige Walfangsaison mit einem Gottesdienst eröffnet worden, der am frühen Morgen begann. Die katholische Bevölkerung des Ortes zählt zweitausend Seelen. Zwei Priester feierten die Messe mit der Gemeinde, die im Sand saß oder stand. Trotz des frühen Morgens schien die Sonne schon kräftig auf die Gläubigen herab, nur der kepala désa (Dorfvorsteher) saß Kraft seiner Amtswürde auf einem Klappstuhl und hatte sich einen Sonnenschirm aufgespannt. Zwischen der Predigt und den Gebeten sang der wohlklingende Chor. Am Ende der Messe brachten die walfangenden Männer des Dorfes brennende Kerzen in die Kapelle und die Priester sprachen ein Gebet an der Brandungslinie. Danach segneten die Pfarrer der Reihe nach die Boote. Nur ein einziges fuhr an diesem Festtag hinaus, um damit die Walfangsaison zu eröffnen. Zahlreiche Hände halfen, es ins Wasser zu schieben, dann paddelte dessen Mannschaft los.
Die Jagd auf Wale geschieht hier noch wie zu Zeiten von Herman Melvilles Roman „Moby Dick“. Lamalera ist der letzte Ort auf der Erde, wo noch Pottwale mit der Handharpune gejagt werden. Für die Menschen hier trägt der Walfang zum Nahrungserwerb bei – nicht zu vergleichen mit dem „wissenschaftlichen Walfang“, wie Japan ihn betreibt.
Während in den sechziger Jahren in Lamalera noch bis zu 60 Pottwale pro Jahr gefangen wurden und es vor zehn Jahren noch 15 bis 25 Tiere waren, lag die Zahl der getöteten Wale in den letzten Jahren zwischen 5 und 9. Es ist unklar, ob sich nur die Wanderwege der Wale geändert haben oder ob man aus der Fangstatistik erkennen kann, dass die Zahl der Pottwale sinkt.
Nahezu der ganze erbeutete Wal ist verwendbar. Das in seiner Nase befindliche feinflüssige Öl (Walrat) wird zum Kochen und als Lampenöl im Dorf verwendet. Das Dorf hat keinen Stromanschluss, nur einige wohlhabendere Leute können sich einen privaten Stromgenerator leisten. Früher wurde das Walrat als hochwertiges Schmiermittel verwendet. Selbst die NASA war ein überzeugter Kunde dieser wachsähnlichen Substanz. Inzwischen kann es durch eine synthetische Substanz ersetzt werden.
Speck und Fleisch werden getrocknet. Was die Dorfbewohner davon nicht selbst verbrauchen können, tauschen sie auf Märkten in der Umgebung in Bananen, Feigen und verschiedenes Gemüse ein. Kein Geld wechselt dabei den Besitzer. Die Zähne aus Elfenbein versuchen die Einwohner an die spärlichen Touristen zu verhökern.
Bei manchen Pottwalen befindet sich im Darm sogenannte Ambra (oder Amber genannt), möglicherweise Resultat einer Verdauungsstörung. Frische Ambra stinkt, erst durch längeren Kontakt mit der Luft beginnt sie zu duften. Sie wurde früher zur Parfümherstellung verwendet und mit Gold aufgewogen.
Den Kopf des Wales geht an den Clan des traditionellen Landeigentümers. Die Waljäger von Lamalera kamen ursprünglich von einer Insel in der Nähe, die durch einen Vulkanausbruch zerstört wurde. Für die Genehmigung, sich hier anzusiedeln zu dürfen, verpflichteten sie sich, von ihren Walfängen den Alteingesessenen abzugeben.
Der letzte tödliche Unfall beim Walfang ist zwar schon zehn Jahre her, aber die Gefahr von schrecklichen Verletzungen ist immer vorhanden. Im Erfolgsfall hakt sich die geworfene Harpune im Wal fest und zieht das daran befestigte Seil mit, das aufgerollt im Boot liegt. Eine sich plötzlich um ein Bein oder einen Arm legende Seilschlinge kann diese Körperteile leicht abreißen. Im Dorf gibt es einen einarmigen ehemaligen Harpunier. Das Boot kann auch durch ein Rammen des Wals kentern, was nach Aussage der Fischer bei der Hälfte aller Walfänge geschieht, oder gar auseinanderbrechen. Wenn dann die Bootsbesatzung im Wasser schwimmt, muss sie sich in Sicherheit bringen vor der peitschenden Schwanzflosse (Fluke) des Wals. Der Pottwal hat als Zahnwal ein Gebiss und jagt damit in bis zu tausend Meter Meerestiefe hauptsächlich Tintenfische. „Einem japanischen Touristen hat einmal ein Pottwal ins Ohr gebissen“, erzählte der Fischer Joseph; der Schaden am Ohr hielt sich aber wohl in Grenzen, da die Zähne recht stumpf sind.
Ganz dick kam es im März 1994: Vier Boote hatten ihre Harpunen in einen Wal gerammt und wurden von dem verwundeten Wal mitgezogen. Ein Boot kappte später die Leine und zwei Boote sanken. Seine Insassen wurden von dem letzten übriggebliebenen Boot aufgenommen, welches vom Wal achtzig Kilometer bis vor die Insel Timor gezogen wurde, wo die Männer die noch verbliebene Leine abtrennten. Nach einer viertägigen Odyssee ohne Wasser und Nahrung wurden die Waljäger von einem Kreuzfahrtschiff gerettet.
Die Walfänger fahren täglich außer sonn- und feiertags heraus aufs Meer und waren bereit mich mitzunehmen. Etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang – gegen 6:30 Uhr – treffen sich die Seeleute an den Bootsschuppen am Strand knapp oberhalb der Hochwasserlinie. Die Männer rauchen und unterhalten sich. Ist die Mannschaft komplett, nimmt Markus, der Harpunier der Prau, eine Hülle aus geflochtenen Palmblättern vom Stevenkopf des Bootes. Damit ist das Boot in der Lage zu „sehen“ und Untiefen auszuweichen. Die Fischer stehen neben ihrem Boot und sprechen ein Gebet. Auf vor den Bug gelegten Rundhölzern schieben es die Männer den Strand hinunter ins Wasser. Erst stakt der Harpunier das Boot ein Stück und dann paddeln die Männer „hilabi, hilabi“ rufend los. Bei ausreichendem Wind wird gesegelt. „Satu, dua, tiga“, „eins, zwei, drei“ und der Mast aus zwei oben zusammen gebundenen Bambusstämmen wird aufgerichtet und dann das Segel gesetzt. Markus schärft die Harpune mit einem Schleifstein; dann folgt das zweite Gebet des Morgens. Der älteste Mann macht den Einsatz, dann fallen die anderen Fischer ein. Zum Schluss bekreuzigen sie sich und wünschen sich alle mit strahlenden Gesichtern einen „Guten Morgen“. Markus legt eine Harpune auf der Plattform zurecht – jetzt können die Wale kommen.
Während meines dreiwöchigen Aufenthalts im Mai erspähten wir zwar keine Pottwale, aber viele andere Meerestiere. Delfine sahen wir täglich. Einmal tauchte plötzlich ein einzelner Tunfisch auf, gejagt von einer Schule Delfine. Sie kamen direkt auf unser Boot zu; dabei sprangen sie immer wieder aus dem Wasser. Als sie unsere Prau sahen, tauchten sie ab. Ein anderes Mal verfehlte Markus einen Delfin, der hier neben anderen Zahnwalen wie dem Pottwal, und auch Haien und Seeschildkröten mit der Harpune gejagt wird. Fliegende Fische schnellten aus dem Wasser und segelten über die Meeresoberfläche dahin, manchmal auch ins Boot. Die Fischer saugten ihnen die Augen ab, für sie offensichtlich eine Delikatesse. Einmal sahen wir in der Ferne einen Manta einen Luftsprung meterhoch aus dem Wasser vollführen.
In der Hitze eines weiteren Tropentages kreuzten wir vor Lamalera. Während immer mindestens zwei Männer nach Beute Ausschau hielten, döste der Rest im Boot vor sich hin und rauchte kretek, die berüchtigten Nelkenzigaretten der Indonesier. Vor Überraschung schrien wir alle auf, als plötzlich laut und nah hinter uns ein zischendes Geräusch wie ein Wasserfall ertönte. Wir rissen unsere Köpfe herum. Ein Wal, vielleicht einhundert Meter von uns entfernt, war aufgetaucht und hatte eine Fontäne ausgestoßen. Die Fischer betrachteten gebannt das Ab- und Wiederauftauchen des Wals, der etwa doppelt so lang war wie unser zwölf Meter messendes Boot. Nur sein Rücken war dabei zu sehen. Nach fünf Wiederholungen dieses Schauspiels tauchte er ab, aber nicht steil genug, dass wir dabei seine Schwanzflosse sehen konnten.
Die Männer hatten keine Anstalten gemacht, diesen Wal zu jagen. Der Blauwal, das größte Tier unserer Erde, war für sie einfach zu groß und zu gefährlich.